Fische für die Welt!
Älgbert Elgson
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Das Heringsmuseum in Siglufjörður ist eines der größten Museen Islands. Die Besucher lernen dort die faszinierende Geschichte kennen, wie die isländische Nation von Jahrhunderten der Armut zu allgemeinem Wohlstand gekommen war und bei der der Hering eine der Hauptrollen spielte als sich im 20. Jahrhundert die Lebensweise in Island stark veränderte. Die Ereignisse rund um den Hering waren für die Menschen und das Land so wichtig, dass sie von einem Abenteuer sprachen – síldarævintýrið (dt. Heringsabenteuer).
An jedem Hafen im Norden und Osten der isländischen Insel entstanden große und kleine Heringsfarmen und Siglufjörður entwickelte sich durch seine günstige Lage und großen geschützten Hafen zu einem der wichtigsten Fanghäfen Islands. Obwohl heute der Nordhering durch Überfischung längst verschwunden ist, trägt der Ort deutliche Spuren der spektakulären Ereignisse der Heringsjahre. Das Síldarminjasafn bewahrt die bedeutende Vergangenheit Islands und insbesondere des Ortes und bringt diese den Besuchern näher. Zur Blütezeit waren rund 10.000 Menschen mit dem Fang und der Verarbeitung des Fisches in Island beschäftigt und der Fischmarkt im Zentrum Siglufjörðurs war der fünftgrößte in Island.
Die Ausstellungen des Museums befinden sich in drei großteils originalerhaltenen Gebäuden, in denen der Heringsfang und die Verarbeitung thematisiert werden.
Róaldsbrakki ist ein norwegisches Heringshaus aus dem Jahr 1907 in dem es noch so wie in den Jahren des Heringsabenteuers aussieht, als die sogenannten Heringsmädchen dort lebten.
Im Haus Grána befindet sich ein Museum über die Geschichte der Hüttenindustrie, die lange als Islands erste große Industrie bezeichnet wurde. Die Besucher können hier eine kleine Heringsfabrik aus den 1930er Jahren besichtigen und mehr über den Herstellungsprozess von wertvollem Fischmehl und Fischöl aus Heringen erfahren.
Im Bootshaus, das Kronprinz Hákon von Norwegen im Juni 2004 in einer feierlichen Zeremonie einweihte, liegen Schiffe und Boote und es entsteht dort die Atmosphäre eines Heringshafens um 1950.
Auf den Spuren der Geschichte
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden in Island neue Fischereitechnologien und -Techniken eingeführt. So konnten etwa durch die Einführung machinenbetriebener Schiffe und effizienterer Ausrüstung der Ertrag der Kabeljau- und Heringsfischerei erheblich gesteigert werden. Die damit einhergehenden sozialen Verbesserung trugen zu raschen Verbesserungen Lebensverhältnisse bei und leiteten eine neue Ära ein in dieser die weit verbreitete Armut und wirtschaftlichen Stagnation bald der Vergangenheit angehörten.
Zu Beginn der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts begann der Einfluss der Norweger größer zu werden. Sie nutzten riesige landgestützte Netze in den Fjorden Ostislands und Eyjafjörður im Norden des Landes. Die norwegischen Schiffseigner kauften bald Grundstücke entlang der Küsten, bauten Häuser und Piers und übten großen Einfluss auf die wirtschaftliche und städtische Entwicklung von Orten wie Seyðisfjörður und Eskifjörður in den östlichen Fjorden aus.
Nach 1883 setzte eine Kombination aus Packeis, kalten Wintern und harten Zeiten der isländischen Heringsfischerei ein frühes Ende, doch schon 1903 waren die Norweger erneut in isländische Gewässer zurückgekehrt. Die große norwegische Fischfangflotte muss ein überwältigender Anblick für die Isländer gewesen sein, die mit ihren Treibnetzen die offenen Gewässer vor Nordisland befischten. Etwa zur gleichen Zeit begannen diese Pioniere mit hervorragenden Ergebnissen noch bessere und effizientere Fangmethoden in Island einzuführen. Dies führte dazu, dass neue Heringsstädte gegründet wurden und Hunderte von Isländern Arbeit in der neuen Industrie fanden, indem sie Hering für die Norweger verarbeiteten.
Doch die Isländer haben nicht nur tatenlos zugesehen, sondern voll und ganz an diesem neuen Abenteuer teilgenommen und bald begonnen, die Fischerei- und Verkaufsaktivitäten selbst in die Hand zu nehmen. Folglich ging die norwegische Dominanz der Industrie in einen allmählichen, aber endgültigen Niedergang über. Schon im Jahr 1916 übertrafen zum ersten Mal die von Isländern verarbeiteten Fässer die Zahl der von Norwegern verarbeiteten.
Der gesalzene und in Holzfässer verpackte Hering wurde schnell für viele europäische Länder ein sehr wichtiges Nahrungsmittel, insbesondere während der Zeit der beiden Weltkriege. Die wichtigsten Exportmärkte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren Schweden, Dänemark, Finnland, Russland, Deutschland und die Vereinigten Staaten.
Der Heringsfang wurde für Island zu dem wichtigsten Einzelsektor des Exports, dass er viele Jahre lang erstaunliche 25 % der gesamten Exporteinnahmen Islands ausmachte. In den besten Fischfangjahren erreichte diese Zahl auch bis zu 45 % des Gesamtexports des Landes.
Der Hering wurde aber nicht nur für den menschlichen Verzehr verarbeitet, sondern auch in Fabriken zu Fischmehl und -Öl weiterverarbeitet. Das Mehl wurde später zu einem Futtermittel für Nutztiere in ganz Europa, während das Öl in der chemischen Industrie etwa zur Herstellung von Seife und anderen Pflegeprodukten verwendet wurde.
Die erste Heringsverarbeitunganlage in Island wurde 1911 in Siglufjörður gebaut. Schon bald erkannten die Menschen die Möglichkeiten dieses neuen ertragreichen Industriezweiges und es folgten größere und besser ausgestattete Anlagen in allen wichtigen Heringshäfen des Landes. Die Verbreitung und der Umfang dieser Fabriken waren so groß, dass sie heute als Zeichen für die Ankunft der Industrialisierung in Island gelten und in vielen Orten auch heute noch das Ortsbild prägen.
Doch die goldenen Jahre des Heringfangs sollten nur von kurzer Dauer sein. Als die Fangzahlen in den 1950er Jahren zurückgingen, wurden neue und noch effizientere Fangmethoden in Island entwickelt und in den fischreichen Gewässern nördlich und östlich des Landes angewandt. In den folgenden Jahren wurden jedes Jahr immer mehr Heringe in den Gewässern östlich von Island gefangen. Dies hatte jedoch zur Folge, dass schon 1969 die Heringsbestände soweit überfischt waren und die Fangzahlen förmlich einbrachen. Dies läutete den Niedergang der mittlerweile riesigen und enorm wichtigen Fischindustrie Islands ein. Der wichtigste Beschäftigungs- und Wirtschaftssektor des Landes, und damit alle Heringsstädte, erlitten durch das Verschwinden des Herings einen schweren Schlag. In den späten 1960er Jahren machte Hering bis zur Hälfte der isländischen Exporteinnahmen aus und war entscheidend für das schnelle Wirtschaftswachstum des Landes.
Das große „ síldarævintýrið“ war nach 100 Jahren wieder vorbei.
Praktische Informationen
Siglufjörður ist die nördlichste Stadt Islands, was jedoch nicht bedeutet, dass es schwer zu erreichen ist. Die Spuren ihres einstigen Ruhms als Heringshauptstadt Islands sind immer noch zu sehen. Obwohl viele der alten Häuser und Piers aus der Zeit des großen Heringsabenteuers verschwunden sind, blieben einige prominente Erinnerungen erhalten. Wie etwa Róaldsbrakki, das Teil des Museums ist. Auch das 1946 erbaute Fabrikgebäude von SR-Mjöl, einst Islands größte Fabrik zur Gewinnung von Fischmehl ist noch erhalten geblieben. Um mit dem rasanten Wachstum von Siglufjörður mithalten zu können wurde etwa die Hauptstraße besonders großzügig für einen heute so kleinen Ort gestaltet, als man versuchte es in eine kleine Metropole zu verwandeln.
Die Stadt hat heute etwa 1300 Einwohner und alle grundlegenden Dienstleistungen (z. B. für Touristen) sind in der Stadt zu finden.
Anreise
Siglufjörður liegt in der Region Norðurland eystra, ist die nördlichste Handelsstadt und eine der nördlichsten Gemeinden Islands. Von der Ringstraße muss man nur entweder von Westen kommend bei Varmahlíð beziehungsweise dem Gehöft bei Miklibær auf die Straße 76 oder von Osten über Akureyri kommend der Straße 82 folgen. Beide Straßen liegen nahe an der Küste der Halbinsel Tröllaskagi und führen direkt nach Siglufjörður.
Das Museum liegt zentral und es sind viele Parkplätze vorhanden. Wer lieber mit den öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen möchte, kann dies zum Beispiel von Akureyri aus mit dem Bus tun. Theoretisch könnte man auch von Reykjavik mit dem Bus anreisen, doch aufgrund der weiten Entfernung von etwa 400 Kilometern und einer ungefähren Fahrtzeit von knapp 17 Stunden (zum Vergleich: die selbe Strecke benötigt knapp fünf Stunden mit dem Auto) raten wir aus Zeitgründen davon ab.
Fazit:
Wer hier ein langweiliges Fischmuseum erwartet wird eines besseren belehrt werden. Die Ausstellung ist sehr interessant gestaltet und bringt den Besuchern die Wichtigkeit des Fischfangs für Island näher. Genauso beleuchtet das Museum wie wichtig es ist auf die Umwelt zu achten und nicht alles dem wirtschaftlichen Aufschwung unterzuordnen.
Wer den Norden Islands erkundet, sollte hier zwei Stunden investieren und einen Teil der isländischen Kultur kennenlernen.